Lesbische_queer Bücherwelten: Wie ein Versprechen von Stefanie Zesewitz

07.11.2014 12:57

 

Buchempfehlung: Lesbisches Alltagsleben in der Weimarer Republik und im NS

 

Stefanie Zesewitz: Wie ein Versprechen Dina zieht Ende der 1920er Jahre aus der ostfriesischen Provinz nach Hamburg, um auf die Hauswirtschaftsschule zu gehen - oder vielmehr: Diese ist der Preis, den Dina zu zahlen bereit ist, um Großstadtluft schnuppern zu können. In Hamburg erwartet Dina ein in Liebesdingen ebenso wie beruflich turbulentes Leben: Sie fliegt von der Hauswirtschaftsschule – und ergattert eine Stelle in einem kleinen Fotolabor, wo sie ihrer Leidenschaft fürs Fotografieren nachgehen und ihr Einkommen sichern kann. Im Fotoladen lernt Dina bald auch Selene kennen und verliebt sich in sie. Selene kommt aus reichem Hause, ist Medizinstudentin – und, was Dina erst nach und nach erfährt, Kommunistin und im Widerstand gegen die Nazis aktiv. Und schließlich wären da noch Ida, Dinas beste Freundin, die Jüdin ist, und deren Familie und Freunde, mit denen Dina ihre freien Abende verbringt.

Nach und nach werden die Nationalsozialisten auch im linken Hamburg zahlenmäßig mehr und sichtbarer – und mächtiger. Angefangen bei einzelnen Nazi-Aufmärschen bis hin zur Machtergreifung der NSDAP, die in eine existenzielle Bedrohung für Dina und viele ihrer Liebsten resultiert.

 

Zesewitz’ Roman dreht sich vor allem um die Jahre vor, aber auch nach der staatlichen Machtübernahme der Nationalsozialisten. Dabei gelingt es Zesewitz, die Veränderungen im Hamburger Alltag einzufangen, die mit dem Machtzuwachs der Nazis einhergehen. Sie erzählt die Geschichte aus Sicht einer nicht-jüdischen Lesbe, die engen Kontakt hat zu JüdInnen und zu im Widerstand Aktiven. Anhand einer individuellen und Stadtgeschichte macht Zesewitz auf fesselnde Weise nachvollziehbar, wie sich etwas verändert in diesen letzten Jahren der Weimarer Republik ...

Zunächst sind es eher punktuelle Einbrüche in einen auch ansonsten turbulenten Alltag: Erste große und gewalttätige Nazi-Aufmärsche finden statt, von der Polizei gedeckt; Dina selbst schießt Fotos dort und sorgt sich um Selene, wenn diese mehrere Tage oder Wochen abtaucht. Dinas Leben ist aber ebenso geprägt durch persönliche berufliche Veränderungen und ihre Arbeit als Fotografin, durch die zunehmend komplizierte Freundschaft mit Ida, durch ihr Coming-out – und vor allem durch Verliebtsein, Sehnsucht und Unsicherheit in Hinblick auf ihre erste und große Liebe: Selene. Es ist eine Geschichte von weiblicher Emanzipation und lesbischem Leben in der Weimarer Republik.

 

Doch zunehmend beginnen die Nationalsozialisten den Alltag der ProtagonistInnen nicht mehr nur zu beeinflussen, sondern gänzlich zu bestimmen. Zesewitz zeichnet nach, wie nationalsozialistischer Einfluss und die damit verbundene Gewalt von einem Lebensaspekt zum bestimmenden Moment werden – und schließlich zur existenziellen Bedrohung: Welche Fotos geschossen werden, in welchen Clubs verkehrt wird, mit welchen Leuten man befreundet ist, welche Kleidung man trägt und welche persönlichen Kontakte man hat – diese Fragen werden zu Fragen nach Leben und Tod.

Zesewitz fängt die damit verbundenen, individuell erlebten Erfahrungen der Bedrohung und des Ausgeliefertseins ein. Und zugleich erzählt sie von lebensrettender Solidarität und gegenseitiger Unterstützung – auf sprachlich überzeugende, packende und sehr berührende Art und Weise.

Julia Roßhart für FEMBooks


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