Rezension zu: Anonyma. Ganz oben: Aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft

14.05.2013 07:23
„Ganz oben“ ist keine Erzählung, kein autobiographischer Roman oder Essay über die ausschließenden Mechanismen in einer patriarchal geprägten Arbeitswelt der Topmanager. Das Buch ist in vier bis achtseitige Kurz-Kapitel unterteilt, die beispielsweise heißen: „Beichtgeheimnisse. Über meine Rolle als Kummerkasten“ oder „Sex fails. Warum es nur Frauen ohne jede Ausstrahlung bis nach ganz oben schaffen“. Diese Kapitel handeln Erinnerungen und Gegebenheiten zu den angekündigten Themen ab. Dabei wird meist eines der folgenden Schema verwendet: Bericht einer oder mehrerer autobiographischer Erlebnisse, Versuch einer Einordnung und Erklärung und manchmal ein Ausblick, was sich ändern müsste bzw. wie eine weiblichere Arbeitswelt die kritisierten Umstände ändern würde.

Der schwächste Punkt – und das ist auch leider die große Schwäche des Buches – ist die versuchte Erklärung patriarchaler Verhaltensweisen, die viel zu häufig nur mit „vielleicht“, „könnte“, „ich weiß nicht, woran es liegt“ endet.

Die Autorin rätselt, warum Männer ausgerechnet die Themen Politik, Autos und Fußball für sich beanspruchen, sie versteht nicht, warum sie sich in Verhandlungen aggressiv verhalten und überlegt ob ihre sanfte Art vielleicht nicht mit Weiblichkeit zu tun hat, sondern mit ihrer individuellen Familiengeschichte (in der sie den cholerischen Vater beruhigen musste!) zusammenhängt. Sie fragt sich: „Sieht man in der Chefin unbewusst auch die Mutter, die sich aller Sorgen und Probleme bereitwillig annimmt? Wird der männliche Vorgesetzte ebenso unbewusst mit dem Anführer gleichgesetzt, hinter den man sich schart, den man aber mit allzu Menschlich-Alltäglichem verschont? Ein weites Feld.“

Nun sind gerade die im Zitat angesprochenen Geschlechterstereotype in der feministischen Forschung kein unbeackertes „weites Feld“, und die Antworten auf solche, in fast jedem Kapitel auftauchenden Fragen, liegen für jede_n auf der Hand, die/der sich mit kulturellen Bildern und historischen Kontinuitäten beschäftigt hat.

Nun möchte ich der Autorin nicht vorwerfen, dass sie die Vielfalt feministischer Analysen der letzten Jahrzehnte nicht wahrgenommen hat – es stellt sich jedoch anhand dieses ziemlich dominanten blinden Flecks die Frage, für wen dieser Bericht geschrieben ist oder wen er wachrüttelt. Die Antwort gibt letztlich auch das Buch selbst, die Autorin schreibt, sie selbst habe lange eine Quote abgelehnt, und in einer Diskussion mit anderen Frauen „als Einzige die Auffassung vert[reten], einer Frau stünde wie einem Mann jeder Job auf jeder Ebene offen […]. Alles ist möglich, so mein Credo zu jener Zeit“. Dann wurde ihr bewusst, dass sie die Realität der Diskriminierung nicht sehen wollte. Die Wandlung ihrer Meinung hat, so der Eindruck der sich beim Lesen aufdrängt, allein mit den eigenen beruflichen Erfahrungen der letzten Jahre zu tun, und ist nirgendwo von feministischen oder überhaupt weiblich solidarischen Zusammenhängen flankiert. Das ist dem Buch leider auch anzumerken. Der Ton ist der einer teilweise sehr abgekämpften, ratlosen, traurigen Einzelkämpferin, die sogar abgegangene Schwangerschaften allein mit sich (der Partner wohnt zudem weit weg) zwischen wichtigen Verhandlungen abmacht, und sich danach ob ihrer schlechten Performance noch vom Kollegen rügen lassen muss. Als sie endlich schwanger wird, schleudert ihr ihr Chef: „Freuen Sie sich? Ihren jetzigen Job werden Sie nie wieder machen“ entgegen. An diesem Punkt nun endlich sind kämpferische Töne zu vernehmen, „anonyma“ will sich nicht (mehr) sagen lassen, was sie tun darf, sondern gegen Widerstände an der jetzigen Stellung auch mit Kind festhalten und „ein weiteres Mal vorausgehen auf dem Weg zur Gleichstellung in der Führungsetage“.

Dieses Buch ist sicherlich als „Beweisstück“ und Quelle geeignet, insbesondere für diejenigen, die wie die Autorin früher noch der Meinung sind, Sexismus sei kein fundamentales Problem in der (Arbeits)welt. Für Feminist_innen zeigt sich eher Altbekanntes und dies ohne Distanz und deshalb umso bedrückender in der Schilderung der Verstrickung in die patriarchale Arbeitswelt. Das ist wohl einer der Verdienste des Buches, einen Einblick zu geben in die Perspektive einer Frau, die sich für ein Umfeld und eine Art des menschlichen Umgangs verbiegt, der einen nur schaudern lässt. Dieses Buch führt sicherlich nicht dazu, Frauen für eine Karriere im Topmanagement zu motivieren. Beim Lesen fragt sich frau unweigerlich: „Warum sollte ich das wollen? Kann Geld mir diese Demütigungen bezahlen?“ Gleichzeitig fragt sich die feministische Leserin, warum feministische Diskurse zu keinem Anteil in der Welt einer Topmanagerin angekommen sind. Und anstatt die bekannte Antwort zur Resignation führen zu lassen und zum im Vorwort von Monika Schulz-Strelow beschriebenen Gefühl, all das höre sich an, als „würden wir eine Zeitreise 30 Jahre rückwärts antreten“, sollten wir nach einem Weg suchen, miteinander zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Dazu hat, wer auch immer „anonyma“ ist, mit dem Teilen ihrer Erfahrungen den ersten Schritt getan.

Julia Lemmle, FEMBooks

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