Rezension zu: Christiane Leidinger: Keine Tochter aus gutem Hause. Johanna Elberskirchen (1864 - 1943)

07.02.2014 17:52

„Sind wir Frauen der Emanzipation homosexual - nun, dann lasse man uns doch! Dann sind wir es doch mit gutem Recht. Wen geht’s an? Doch nur die, die es sind.“

Dieses Plädoyer stammt von Johanna Elberskirchen, geschrieben um 1900 (aus "Was hat der Mann aus Weib, Kind und sich gemacht? Revolution und Erlösung des Weibes. Eine Abrechnung mit dem Mann - Ein Wegweiser in die Zukunft").

Elberskirchen setzte sich für die Befreiung der Frauen, ArbeiterInnen, Lesben und Schwulen ein und outete sich selbst als homosexuelle Frau. Sie engagierte sich als Feministin, Sexualreformerin und Sozialdemokratin. Provokant und teil polemisch meldete sich Elberskirchen als Rednerin, Aktivistin und Schriftstellerin zu Wort und mischte sich in die gesellschaftlichen Debatten und Kämpfe ihrer Zeit ein.

Die Berliner Politologin und Autorin Christiane Leidinger hat sich erstmals umfassend mit Johanna Elberskirchen auseinander gesetzt. Sie schildert höchst anschaulich Leben, Werk und Denken und ordnet es ein in den historischen Kontext der Zeit vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus. Dabei werden auch die höchst fragwürdigen Positionen Elberskirchens zu den Themen Rassenhygiene und Eugenik nicht ausgelassen. Zu Fragen der Frauenemanzipation und der Anerkennung von Homosexuellen vertrat Elberskirchen hingegen oftmals Standpunkte, die auch in aktuellen feministischen und queeren Debatten noch diskutiert werden.

Keine Tochter aus gutem Hause

Johanna Elberskirchen war „keine Tochter aus gutem Hause“. Doch sie verstand ihre soziale Herkunft als Tochter einfacher Kaufleute ebenso als Herausforderung wie die Beschränkungen, mit denen sie als Frau konfrontiert war. Sie begann in der Schweiz ein Medizinstudium, schrieb mit 23 Jahren ihre ersten feministischen Texte und legte sich mit den Antifeministen und Patriarchen der Wissenschaft ebenso an wie mit denen der Sozialdemokratie. Mit der - für ihre Zeit höchst provokanten - Forderung nach selbst bestimmter weiblicher Sexualität mischte sich Elberskirchen in sexualwissenschaftliche Debatten ein und meldete sich mit frauenspezifischen Positionen in der Debatte zu Homosexualität zu Wort.

In der Frauenstimmrechtsbewegung stritt sie für das Wahlrecht aller Frauen, also auch der Arbeiterinnen, denn: „Der reine Feminismus ist nolens volens radikal. Notwendig schließt er [...] Mäßigung, Beschränkung, Halbheit aus. Feministisch sein heißt keineswegs un à tout prix ein Recht für eine kleine Anzahl Frauen auf Kosten der anderen Frauen ergattern zu wollen - feministisch sein, das heißt immer nur für Gesamt-Befreiung des gesamten weiblichen Geschlechts kämpfen." (aus "Frauenstimmrecht. Feminismus und Demokratie". In: "Volksmund", 10.5.1913) Johanna Elberskirchen stritt und kämpfte an vielen Fronten und war damit stets eine Einzelkämpferin und Außenseiterin. Eine Ausnahme bildeten allerdings ihre Positionen zu Eugenik und Rassenhygiene. Hier blieb Elberskirchen dem Zeitgeist verhaftet und teilte die Idee von „hochwertigen“ Kindern und „Verbesserung“ des Erbgutes, wenn sie auch keine explizit antisemitischen und/oder rassistischen Positionen vertrat.

Die Abenteuer der Urne

Johanna Elberskirchen hatte ein ungewöhnliches Leben. Doch den Ausschlag für die umfänglichen und oft mühsamen Recherchen gaben die abenteuerlichen Umstände ihres Todes und ihrer Bestattung. „Die Urne von Frau Elberskirchen liegt im Grab von Frau Moniac.“ Dieser lapidare Satz einer Zeitzeugin führte schließlich zum Grab von Hildegard Moniac, der letzten Lebenspartnerin Elberskirchens, in Rüdersdorf bei Berlin. Dorthin war die Urne Johanna Elberskirchens im Zuge einer heimlichen Aktion gelangt. Auf Initiative Leidingers wurden am Grab inzwischen Gedenktafeln aufgestellt.

Zeitgeschichte mit Unterhaltungswert

„Keine Tochter aus gutem Hause“ ist ein hochinformatives Buch, das sich trotz der Fülle an historischen Fakten und Quellen sehr angenehm lesen lässt und aufgrund der oft polemischen Texte von Elberskirchen auch Unterhaltungswert hat. Der Autorin gelingt es, auf jeder Seite die Faszination spürbar zu machen, die von der ungewöhnlichen und streitbaren Denkerin und Aktivistin Johanna Elberskirchen ausgeht und detailreich die Debatten und Entwicklungen der Zeit zu vermitteln.

„Der reine Feminismus ist radikal“, erklärte Johanna Elberskirchen und forderte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Arbeiterinnen und lesbische Frauen in den Kampf um „Gesamt-Befreiung“ einzuschließen. Das Buch „Keine Tochter aus gutem Hause“ von Christiane Leidinger bietet einen spannenden Einblick in das Leben und Werk der Feministin, Sexualreformerin und Sozialdemokratin Johanna Elberskirchen im Kontext ihrer Zeit vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus.

Michaela Baetz

Die Rezension wurde in ähnlicher Form erstmalig veröffentlicht in "Geschichte quer. Zeitschrift der Geschichtswerkstätten in Bayern", Nr. 15, 2010, unter dem Titel Der reine Feminismus ist radikal“ – Das Leben und Werk von Johanna Elberskirchen"

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