Rezension zu Regina Nössler: Endlich daheim

27.11.2015 15:45

von Julia Roßhart

Berlin-Kreuzberg. Die dreizehnjährige Kim steht vor ihrem Hauseingang und muss feststellen: Ihr Schlüssel passt nicht mehr und das Klingelschild mit ihrem Namen ist verschwunden. Überhaupt stimmt keines der Klingelschilder mehr. "Endlich daheim" von Regina Nössler erzählt Kims Odysses durch Berlin, in der die akute Notsituation der Dreizehnjährigen ihre alltägliche Verlorenheit und Einsamkeit zu Tage fördert. Aber auch ungeahnte Verbündete betreten die Bühne.

Zum mystischen Verschwinden der Namensschilder gesellen sich weitere Hinweise darauf, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht: Kims verschwundene Mutter, ein Unfall im Innenhof des Hauses, ein rätselhafter Mann auf einem Dachboden. Der Erzählaufbau lädt zum Miträtseln ein, und bis zum Schluss bleibt völlig offen, wie all das zusammenhängt und ob überhaupt, ob kriminelle oder übersinnliche Kräfte am Werk sind – oder ob sich alles als völlig harmlos erweisen wird.

Nössler gelingt es auch dieses Mal wieder, einen originellen und spannungsreichen Krimi/Thriller zu schreiben, der mehr ist und mehr will als das. Während in den beiden vorausgegangenen Büchern der Autorin das Thema Arbeitsverhältnisse ‚mitgeliefert‘ wurde, ist es diesmal: Dickenfeindlichkeit und generell ‚Andersein‘ und Diskriminierung – und daraus resultierende Einsamkeit. Im Mittelpunkt steht Kim: Sie liebt Zahlen, ist stolz darauf, keine Heulsuse zu sein, sie denkt viel nach – und ist einsam. Von ihren MitschülerInnen wird sie gemobbt, weil sie bestimmten Schönheitsnormen nicht entspricht: Sie ist dick. Während sie durch verschiedene Viertel Berlins irrt, ängstlich, rastlos und allein, lernen die Leser_innen Kim kennen und die Beziehung zu ihrer Mutter, zu ihrer lesbischen Tante, zu ihrem Freund Peter, den es gar nicht gibt, und zu ihrer Freundin Merle, die eigentlich keine Freundin ist.

Eine wichtige Vertraute Kims ist Felicitas, ihre Tante: Lesbe und prekäre Künstlerin, frisch getrennt, in einer akuten Lebenskrise. Und dann wäre da noch Alex, der coole Typ aus der Schule, ein paare älter, der Schwarm ihrer Nicht-Freundin Merle. Ihm läuft Kim zufällig über den Weg, nachts im Park, wo sich Alex allein die Nächte um die Ohren schlägt. Alex ist schwul, unverstanden von seinem schulischen Umfeld. In ihm findet sie überraschend einen Verbündeten.

Im Laufe der Erzählung macht Kim die Erfahrung sexualisierter Gewalt. Die Angst vor weiteren Übergriffen begleitet sie durch die Berliner Nacht und macht sie Unbekannten gegenüber misstrauisch. Die Alltäglichkeit sexualisierter Gewalt und was das bedeutet für das Sich-im-Stadtraum-Bewegen, wird eindrücklich deutlich. Auf einen ermächtigenden Dreh warten die Leser_innen jedoch vergeblich. Was bleibt, ist Angst. Das mag dem Spannungsaufbau förderlich sein, politisch bleibt die ansonsten in vielerlei Hinsicht überzeugende Geschichte an dieser Stelle unbefriedigend.

 

Endlich daheim
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