Barbara Kuchler: Kriege. Eine Gesellschaftstheorie gewaltsamer Konflikte
Wir wissen heute viel über die Umstände einzelner Kriege. Aber eine umfassende Einordnung von Kriegen in die Gesellschaft, in der sie stattfinden, steht noch aus. Wie hängen etwa die Muster der Rekrutierung von Kämpfern mit der Gesellschaftsform zusammen, in der sie leben? Wo ist die Kontrolle der bewaffneten Truppen angesiedelt? Inwieweit werden Rollenkontexte durch Kriege beschädigt und wie werden sie geschützt? Wie wird über Kriegsanfang und Kriegsende entschieden?
Auf der Basis der soziologischen Gesellschaftstheorie analysiert Barbara Kuchler Zusammenhänge zwischen Kriegsformen und gesellschaftlichen Differenzierungsformen seit der Antike bis heute. Sie arbeitet dabei das typische Profil moderner Kriege heraus, das sich jenseits aller Unterschiede zwischen 'alten' und 'neuen', regulären und irregulären Kriegen beobachten lässt.
Auf der Basis der soziologischen Gesellschaftstheorie analysiert Barbara Kuchler Zusammenhänge zwischen Kriegsformen und gesellschaftlichen Differenzierungsformen seit der Antike bis heute. Sie arbeitet dabei das typische Profil moderner Kriege heraus, das sich jenseits aller Unterschiede zwischen 'alten' und 'neuen', regulären und irregulären Kriegen beobachten lässt.
Autor*in / Hrsg.: | Barbara Kuchler |
Weitere Informationen: | Umfang: 415 S. Einband: Kartoniert Format (T/L/B): 2.7 x 21.4 x 14.2 Gewicht: 520 g Erscheinungsdatum: 15.09.2013 |
Inhalt
1.Einleitung 7
2.Der Ort von Krieg in der Gesellschaft 29
2.1.Jeder Mann ein Krieger - Stammesgesellschaften 35
2.2.Kriegführung als Privileg der Oberschicht - Stratifizierte Gesellschaften 41
2.3.Universelle Inklusion in Soldatenrolle und moderner Rollenpluralismus 59
2.4.Militär und zivile Politik 84
2.5.Politische und ökonomische Logik von Krieg 124
2.6.Die Segmentierung des weltpolitischen Systems und die Unmöglichkeit von Imperien 145
3.Krieg und der "Rest" der Gesellschaft 168
3.1.Der Umgang mit dem integrierten "Rest" - Stammesgesellschaften 176
3.2.Die Unterschicht als bloße Umwelt - Stratifizierte Gesellschaften 182
3.3.Systematische Instrumentalisierung anderer Teilsysteme und ihre Grenzen 189
3.4.Systematische Viktimisierung anderer Teilsysteme und die Figur des Zivilisten 245
4.Die zeitliche Ordnung von Krieg 279
4.1.Gegenwartsbetonte Zeit und zeitliche Einbettung von Krieg - Stammesgesellschaften 284
4.2.Lineare Zeit und Bindungswirkung von Kriegen - Stratifizierte Gesellschaften 293
4.3.Zeitliche Konzentration von Krieg und Gegentrend der "low-intensity wars" 304
4.4.Kriegsanfang als Komprimierung von Zeithorizonten 327
4.5.Kriegsende als Entscheidungsproblem 335
5.Schluss: Krieg und Gesellschaftsgrenzen 361
Literatur 378
1.Einleitung 7
2.Der Ort von Krieg in der Gesellschaft 29
2.1.Jeder Mann ein Krieger - Stammesgesellschaften 35
2.2.Kriegführung als Privileg der Oberschicht - Stratifizierte Gesellschaften 41
2.3.Universelle Inklusion in Soldatenrolle und moderner Rollenpluralismus 59
2.4.Militär und zivile Politik 84
2.5.Politische und ökonomische Logik von Krieg 124
2.6.Die Segmentierung des weltpolitischen Systems und die Unmöglichkeit von Imperien 145
3.Krieg und der "Rest" der Gesellschaft 168
3.1.Der Umgang mit dem integrierten "Rest" - Stammesgesellschaften 176
3.2.Die Unterschicht als bloße Umwelt - Stratifizierte Gesellschaften 182
3.3.Systematische Instrumentalisierung anderer Teilsysteme und ihre Grenzen 189
3.4.Systematische Viktimisierung anderer Teilsysteme und die Figur des Zivilisten 245
4.Die zeitliche Ordnung von Krieg 279
4.1.Gegenwartsbetonte Zeit und zeitliche Einbettung von Krieg - Stammesgesellschaften 284
4.2.Lineare Zeit und Bindungswirkung von Kriegen - Stratifizierte Gesellschaften 293
4.3.Zeitliche Konzentration von Krieg und Gegentrend der "low-intensity wars" 304
4.4.Kriegsanfang als Komprimierung von Zeithorizonten 327
4.5.Kriegsende als Entscheidungsproblem 335
5.Schluss: Krieg und Gesellschaftsgrenzen 361
Literatur 378
Das 20. Jahrhundert ist als das gewalttätigste und kriegerischste Jahrhundert überhaupt bezeichnet worden (so William Golding, zit. in Kruse 2009: 198), und wie das 21. Jahrhundert in dieser Hinsicht abschneiden wird, ist noch nicht abzusehen. In Aussagen wie diese ist eine normative Wertung so tief eingelassen, dass sie uns normalerweise gar nicht auffällt - unausgesprochen mitgeführt wird eine Negativbeurteilung von Kriegen, die Klage über das dadurch verursachte Leid zahlloser Menschen und die Hoffnung, es in Zukunft reduzieren zu können. Dem Soziologen muss, anders als dem Alltagsbeobachter, eine solche latent mitgeführte Wertung auffallen, denn er hat die Aufgabe, hinter die gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten zu schauen und sie zu "erklären" oder jedenfalls auf dahinterliegende Strukturgesetzlichkeiten durchsichtig zu machen. Bei einem zweiten Blick wird man denn auch relativ schnell bemerken, dass die uns so geläufige Einschätzung von Krieg als etwas Schrecklichem historisch ziemlich jung ist und Kriegführung über den größten Teil der Geschichte vielmehr als ehrenvolles und nützliches Tätigkeitsfeld galt. Autoren, die sich mit Krieg befassen, stellen nahezu die ganze Geschichte hindurch vorzugsweise die Frage, wie man Kriege gewinnen kann, und nicht - wie heute verbreitet - wie man sie vermeiden, verkürzen oder gar abschaffen kann (Deutsch 1957: 200; Wright 1968: 463).
Warum ist die Wertung, dass Krieg etwas Schlechtes sei, in der heutigen Gesellschaft so alternativlos? Und alternativlos ist sie - Abweichungen von der Regel, dass "wir alle Pazifisten sind" (Hall 1985: 140f.), gibt es nur in zwei Formen, die beide die Regel bestätigen. Entweder man propagiert Kriege in instrumenteller Einstellung als kleineres Übel gegenüber dem, was sonst geschehen würde (faschistische Eroberungszüge oder ungehemmte Entfaltung brutaler Regimes), mithin als Mittel zu einem für wichtig gehaltenen Zweck, nicht aber als Sache selbst. Oder man schätzt Krieg in egoistisch-partikularistischer Einstellung, wenn man - etwa als "Kriegsherr" - Profite davon zu erwarten hat, was dann aber eben ein extrem partikularer Standpunkt ist, der von praktisch allen Beobachtern verurteilt und für unmoralisch oder kriminell gehalten wird.
Aus ausreichend großer Distanz lässt sich diese gesellschaftsweit etablierte Wertung auf die funktionale Differenzierung der Gesellschaft zurückführen, also auf diejenige, insbesondere von Niklas Luhmann beschriebene Strukturform der modernen Gesellschaft, die diese in ein Nebeneinander von etwa einem Dutzend Teilsystemen zerfallen lässt - Politik, Wirtschaft, Recht, Bildung, Wissenschaft usw. -, die sich für die Beteiligung (Inklusion) prinzipiell aller Menschen offenhalten. Inklusion bedeutet zum einen, dass neue Formen für die Teilnahme von Menschen an Kriegen entstehen: die allgemeine Wehrpflicht, aber auch die Möglichkeit der Selbstrekrutierung für Guerillakriege, die Möglichkeit der Mobilisierung im Rahmen einer "Heimatfront" und die Möglichkeit der planvollen Viktimisierung (Tötung, Vertreibung, Vergewaltigung usw.) einer politisch unliebsamen Bevölkerung. Kriege erwerben damit ein Potenzial für ausufernde Betroffenheiten und Destruktionswirkungen - was aber allein noch keine hinreichende Ursache für die sich durchsetzende Negativwertung von Krieg sein kann, da es extrem grausame und verlustreiche Kriege, wie jeder Historiker bestätigen wird, die ganze Geschichte hindurch gab. Darüber hinaus hat der Inklusionstrend der modernen Gesellschaft aber zur Folge, dass der Beobachterstandpunkt für gesamtgesellschaftlich vertretbare Wertungen sich zunehmend auf die Position der Inklusionsrolle verschiebt: die Politik arbeitet gut, wenn sie die Bürger zufriedenstellt, die Schulen arbeiten gut, wenn die Schüler viel lernen, die Wirtschaft arbeitet gut, wenn allgemeine Wohlstandszuwächse zu verzeichnen sind, usw.
Warum ist die Wertung, dass Krieg etwas Schlechtes sei, in der heutigen Gesellschaft so alternativlos? Und alternativlos ist sie - Abweichungen von der Regel, dass "wir alle Pazifisten sind" (Hall 1985: 140f.), gibt es nur in zwei Formen, die beide die Regel bestätigen. Entweder man propagiert Kriege in instrumenteller Einstellung als kleineres Übel gegenüber dem, was sonst geschehen würde (faschistische Eroberungszüge oder ungehemmte Entfaltung brutaler Regimes), mithin als Mittel zu einem für wichtig gehaltenen Zweck, nicht aber als Sache selbst. Oder man schätzt Krieg in egoistisch-partikularistischer Einstellung, wenn man - etwa als "Kriegsherr" - Profite davon zu erwarten hat, was dann aber eben ein extrem partikularer Standpunkt ist, der von praktisch allen Beobachtern verurteilt und für unmoralisch oder kriminell gehalten wird.
Aus ausreichend großer Distanz lässt sich diese gesellschaftsweit etablierte Wertung auf die funktionale Differenzierung der Gesellschaft zurückführen, also auf diejenige, insbesondere von Niklas Luhmann beschriebene Strukturform der modernen Gesellschaft, die diese in ein Nebeneinander von etwa einem Dutzend Teilsystemen zerfallen lässt - Politik, Wirtschaft, Recht, Bildung, Wissenschaft usw. -, die sich für die Beteiligung (Inklusion) prinzipiell aller Menschen offenhalten. Inklusion bedeutet zum einen, dass neue Formen für die Teilnahme von Menschen an Kriegen entstehen: die allgemeine Wehrpflicht, aber auch die Möglichkeit der Selbstrekrutierung für Guerillakriege, die Möglichkeit der Mobilisierung im Rahmen einer "Heimatfront" und die Möglichkeit der planvollen Viktimisierung (Tötung, Vertreibung, Vergewaltigung usw.) einer politisch unliebsamen Bevölkerung. Kriege erwerben damit ein Potenzial für ausufernde Betroffenheiten und Destruktionswirkungen - was aber allein noch keine hinreichende Ursache für die sich durchsetzende Negativwertung von Krieg sein kann, da es extrem grausame und verlustreiche Kriege, wie jeder Historiker bestätigen wird, die ganze Geschichte hindurch gab. Darüber hinaus hat der Inklusionstrend der modernen Gesellschaft aber zur Folge, dass der Beobachterstandpunkt für gesamtgesellschaftlich vertretbare Wertungen sich zunehmend auf die Position der Inklusionsrolle verschiebt: die Politik arbeitet gut, wenn sie die Bürger zufriedenstellt, die Schulen arbeiten gut, wenn die Schüler viel lernen, die Wirtschaft arbeitet gut, wenn allgemeine Wohlstandszuwächse zu verzeichnen sind, usw.