Der Angestelltenroman 'Junge Bürokraft übernimmt auch andere Arbeit.' erschien erstmals 1936/37 als Zeitungsabdruck in Fortsetzungen im 'Wiener Tag' und liegt nun erstmals in Buchform vor.
Autor*in / Hrsg.: | Lili Grün |
Belletristik: | historischer Roman |
Details: | Umfang: 180 S. Einband: Gebunden Format (T/L/B): 1.9 x 21.7 x 12.9 cm Gewicht: 356 g Erscheinungsdatum: 27.09.2016 |
Rezension von Christina Mohr auf AVIVA-Berlin:
"Du glaubst auf eigene Fasson unglücklich zu werden statt nach der von anderen Leuten. Du glaubst, das ist gar nix. Das ist vielleicht schon alles, was man haben kann." Was zunächst illusionslos und pessimistisch klingt, ist ein ganz pragmatischer Ratschlag, den in Lili Grüns Roman "Junge Bürokraft übernimmt auch andere Arbeit..." die lebenskluge Mitzi ihrer Freundin Susi Urban gibt.
Denn was haben die zwei jungen Mädchen vom Leben schon zu erwarten? Beide mussten im Wien der Nachkriegszeit, mitten in den "wilden Zwanzigern" viel zu schnell erwachsen werden, Verantwortung für die vater- und bruderlosen Familien übernehmen, Geld verdienen in Jobs, die ihnen nicht gefallen. Oder ihnen überhaupt nicht liegen, wie Protagonistin Susi bitter erfahren muss: "Sie werden niemals eine tüchtige Bürokraft, Fräulein Urban", eröffnet ihr der gestrenge Anwalt Dr. Müller, in dessen Kanzlei sie angestellt ist und dessen freundliche Gattin um Geduld mit der unbegabten Schreibkraft bittet. Doch im Grunde hat er Recht, der Dr. Müller, denn Susi hasst die Schreibmaschine und das Durchschlagpapier. Eigentlich kocht und backt sie viel lieber, doch ihr ist bewusst (vor gut hundert Jahren schon, wohlgemerkt), dass solche Fähigkeiten bei modernen jungen Frauen nicht gerade hoch angesehen sind.
"Genieße ich jetzt meine Jugend?", fragt sie sich und tut ihr Bestes: Sie geht Shimmy und Twostep tanzen mit Mitzi, trifft sich mit jungen Männern, verliebt sich und wird verlassen - alles ganz normal für Teenager. Und trotzdem ist ihr Leben nicht unbeschwert, ganz im Gegenteil. Seitdem der Krieg vorbei und der Vater tot ist, lebt Susi mit der trauernden Mutter und der griesgrämigen älteren Schwester in einer kleinen Wohnung, ein Zimmer, das der straffällig gewordene Bruder bewohnte, wird untervermietet. Das Geschäft, das die Familie einst stolz führte, ist längst geschlossen. Der Erste Weltkrieg brachte keinen Aufschwung, sondern nur Armut und Elend - ähnliche Szenarien werden auch in Romanen wie "Mich hungert" und "Blutsbrüder" beschrieben, doch im Zentrum "Junge Bürokraft..." steht die Geschichte einer jungen Frau, wie nur Lili Grün sie erzählen konnte: Lakonisch und ungeschönt, teils bitter, jedoch niemals verbittert.
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