Autor*in / Hrsg.: | Madeleine Thien |
Belletristik: | zeitgenössischer Roman |
Literatur aus: | USA/Kanada |
Weitere Informationen: | Originaltitel: Dogs at the Perimeter Übersetzt von: Almuth Carstens Umfang: 256 S. Einband: Gebunden Format (T/L/B): 2.6 x 21.9 x 14.2 cm Gewicht: 452 g Erscheinungsdatum: 26.05.2014 ~ LESEPROBE ~ |
Rezension bei Weiberdiwan:
Janie beginnt mit einem fragmentarischen Bericht, als ihr Kollege des Hirnforschungszentrums Montreal, Dr. Hiroji, dieses unangekündigt verlässt und daraufhin unauffindbar bleibt. Sie vermutet ihn auf der Suche nach seinem Bruder James, der seit einem Einsatz in Kambodscha als Rot-Kreuz-Mitarbeiter vor Jahren verschollen ist. Janies geordnetes Leben mit Mann und kleinem Sohn gerät angesichts dieses Verschwindens aus der Bahn, die Erinnerungen an ihr eigenes Aufwachsen in Kambodscha, die Machtübernahme der Roten Khmer, das gewaltsame Zerreißen ihrer Familie, die Lager, Grausamkeiten und anschließende Flucht nach Kanada holen sie mit Wucht ein. Aus der Perspektive des Kindes Mei, wie sie damals hieß, schildert sie den sich rapide verändernden Alltag, das Chaos und die Ungläubigkeit, mit der viele Menschen sich plötzlich in einem Gesellschaftssystem wiederfanden, das menschliche Verbindungen und Erinnerungen zugunsten einer neuen Zukunft zu vernichten versuchte.
Madeleine Thiens Buch ist in Kapitel nach einzelnen Protagonist_innen unterteilt, Seite für Seite tut sich auf, wie Mei/Janie überleben konnte, was mit ihrem Bruder Rithy/Sopham und ihren Eltern geschah, was James antreibt, was Hiroji sucht, was es für Janie bedeutet, dass ihr Sohn Kiri im sicheren Kanada aufwächst. Mit leisem, ruhigem Ton von teils lyrischem Klang legt Thien behutsam die verstreuten Teile einer Biografie auf, die erst durch die Erinnerung zu einem Ganzen und Janie/Mei zur Integration der eigenen Geschichte verhelfen. Sprachlich und zeithistorisch sehr empfehlenswert!
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Rezension von Helga Egetenmeier auf AVIVA-Berlin:
Erst nach ausführlichen Recherchen in Kambodscha wagte sich die Autorin für ihren Roman an das komplexe Thema von Kindern in Kriegsgebieten und ihrer Emigration. Sie musste tief in die Vergangenheit schauen, um die Komplexität und die Herausforderungen der Gegenwart zu verstehen, erklärte sie in einem Interview die für ihre literarische Umsetzung notwendigen langen Aufenthalte.
Gekonnt setzt Madeleine Thien ihre klare und zugleich poetische Sprache ein, um sich der Sozialisation und dem Missbrauch von Kindern in Krisenregionen zu nähern.. "Ich dachte, die verschiedenen Geschichten könnten sich gegenseitig beeinflussen.", beschreibt sie ihre generations- und nationenübergreifende Ausgestaltung der Figuren.
Ihre Protagonistin und Ich-Erzählerin Janie, in Kambodscha geboren, arbeitet gern als Elektrophysiologin mit ihrem Kollegen Hiroji im Hirnforschungszentrum in Montreal. Doch als dieser verschwindet, entgleitet ihr zusehends ihr Leben, da sie den Grund dafür erahnt. Um ihren kleinen Sohn Kiri durch ihr Verhalten nicht zu gefährden, verlässt sie ihn und ihren Mann Navin, und versucht, ihre Vergangenheit zu klären, damit sie in der Gegenwart ihr Leben führen kann.
"Ich lauf los, unsicher, wohin. Ich rieche Kaffee aus einer nahen Bäckerei, ich sehe meinen kleinen Bruder und mich selbst, und der Geruch nach Brot durchdringt die Luft. Wir sind draußen, als die Luftschutzsirenen ertönen. Ich versuche, ihn wegzuziehen." In wenigen Sätzen wechselt die Autorin den Ort ihrer Protagonistin vom kalten Montreal zu deren Kindheitserinnerungen in Phnom Penh. Und so wie der erwachsenen Wissenschaftlerin Janie Zeit und Raum verrutschen, wird die LeserIn durch das bruchlos geschriebene Präsens in die gegenwärtig erscheinende Vergangenheit des Mädchens Mei geführt, die diesen Namen von ihrem jugendlichen Bewacher der Roten Khmer erhielt.
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