Rezension zu Katharina Müller: Rosie und die Suffragetten

01.05.2016 14:25

von Julia Roßhart

Im Jahr 1908 macht sich Rosie auf nach London, wo sie eine Anstellung als Dienstmädchen findet – und zwar im Haushalt von Emmeline Pankhurst, einer der bekanntesten und einflussreichsten bürgerlichen Frauenrechtlerinnen der Zeit. Die Autorin Katharina Müller erzählt in ihrem Roman "Rosie und die Suffragetten" vom Kampf um das Frauenwahlrecht, dies aus Sicht der stotternden Hausangestellten Rosie. Auf spannende und lehrreiche Weise lässt Müller den mutigen Kampf der Suffragetten lebendig werden – und mit ihm dessen Klassenwidersprüche.

Widrige Umstände zwingen Rosie, ihre Anstellung als Dienstmädchen im Norden Englands zu fliehen; sie macht sich auf nach London, wo sie von einer christlich-seelsorgerischen Initiative aufgenommen und schließlich als Dienstmädchen in den Haushalt Emmeline Pankhursts vermittelt wird. Hier finden Damenversammlungen statt, die der Vorbereitung frauenrechtlerischer Demonstrationen und aufsehenerregender Aktionen dienen. Rosie serviert den Damen Tee und näht Kleider und Schärpen in den Farben der Suffragettenbewegung. Und sie wird selbst aktiv, plant mit und beteiligt sich an Demonstrationen, die sie kurzzeitig ins Gefängnis bringen werden. Daneben trifft sie sich mit ihrer Freundin Helen und tauscht sich aus mit ihrer Arbeitskollegin May, die ihr wertvolle Tips für die Lohnverhandlungen im Hause Pankhurst liefert. Und sie verliebt sich: in den Hafenarbeiter George – und in Jane, die Rosie in ihren ersten Tagen in London kennengelernt hat und im Gefängnis wiedersehen wird.

Katharina Müller gelingt ein fesselnder Roman, der Geschichtswissen ganz nebenbei und nie trocken vermittelt. Der frauenbewegte politische Kontext, in dem er angesiedelt ist, wird differenziert dargestellt: politische Aktionen und staatliche Repressionen werden greifbar und ebenso verschiedene Strömungen, Spaltungen und Konflikte innerhalb der Frauenrechtsbewegung. Unbefriedigend sind allein Start- und Endpunkt: Der überstürzte Aufbruch Rosies nach London, ins Ungewisse, wirkt konstruiert und nur bedingt plausibel. Der kitschige Rückzug ins Private am Ende der Geschichte – kleinfamiliäres Glück statt Politik – vermag noch weniger zu überzeugen. Dazwischen erwartet die Lesenden eine spannende und politisch kluge Erzählung. Dabei kommt der Autorin das Verdienst zu, mit ihrer Hauptfigur Rosie den alltäglichen Klassenkonflikten innerhalb der Suffragettenbewegung auf die Spur zu kommen – in fiktionaler Form, dabei durchaus realistisch.

Dabei wird weder vereinfacht noch beschönigt. Die Arbeitsbedingungen im Hause Pankhurst entwirft Katharina Müller als vergleichsweise gut. Rosie erfährt eine gewisse Anerkennung als Person und politisch Aktive, auch finden sich kurze Momente eines klassenübergreifenden frauenrechtlerischen Kampfes. Da wäre außerdem noch Emmeline Pankhursts Tocher Sylvia, die mit ihrer Mutter brechen und sich für die ArbeiterInnenbewegung engagieren wird. Auf der anderen Seite jedoch lässt die Autorin Klassenunterschiede als eine Realität lebendig werden, die Biografien, Alltag und Frauenbewegung sehr grundlegend prägt. Sie beschreibt Ausbeutung und mehr oder weniger subtile Formen der Abwertung und Ignoranz, denen Rosie im Hause Pankhurst und im Kreise bürgerlicher Suffragetten begegnet: etwa, wenn Emmeline schlicht nicht auf die Idee kommt, Rosie für ihre nächtlichen Näharbeiten im Dienste der Suffragetten zu entlohnen; oder wenn sich Christabel, eine Tochter Emmeline Pankhursts, nach einer gemeinsamen Demonstration weigert, im Gefängnis neben Rosie zu sitzen.

Rosies Hausherrin hält in ihrem Kampf für das Frauenwahlrecht am besitzgebundenen Wahlrecht fest, für die Rechte von Arbeiterinnen und Dienstmädchen setzt sie sich nicht ein. Dieser Interessenskonflikt kommt erst spät auf den Tisch, was verwundert. Als Rosie schließlich in die (Klassen-)Konfrontation geht, verliert sie ihre Anstellung – um noch einmal ein neues Leben zu beginnen.

Erstveröffentlicht in der Jungen Welt

Julia Roßhart ist freiberufliche Lektorin und Schreibberaterin für wissenschaftliches Schreiben. (www.juliarosshart.de)


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