Undine Zimmer: Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie

Artikelnummer: 978-3-596-19595-4

Wir sind die Summe der Erfahrungen, die wir machen. Für ein Hartz IV-Kind zählen aber auch die, die es nicht macht: wie Familienurlaub, Klassenausflug, Musikunterricht oder einfach mal ein Eis essen gehen. Für Undine Zimmer war das die Realität.

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Ein authentischer Erfahrungsbericht: eine Kindheit am Rande der Gesellschaft

Wir sind die Summe der Erfahrungen, die wir machen. Für ein Hartz IV-Kind zählen aber auch die, die es nicht macht: wie Familienurlaub, Klassenausflug, Musikunterricht oder einfach mal ein Eis essen gehen.

Für Undine Zimmer war das die Realität. In einem ganz eigenen, souveränen Ton erzählt sie davon, was das tatsächlich bedeutet: von ihren Eltern, die als 'nicht integrierbar in den Arbeitsmarkt' gelten, von mitleidigen Lehrern, verständnislosen Sachbearbeitern, der Furcht bloßgestellt zu werden und dem ständigen Gefühl, nicht dazuzugehören. Jenseits aller Klischees gibt sie einen Einblick in eine Welt, über die zwar viel geredet wird, aber von der kaum wirklich jemand etwas weiß. Ein einfühlsamer und authentischer Bericht, der zeigt, dass Chancengleichheit und Klassenlosigkeit in Deutschland immer noch unerreichte Ziele sind.

'Träumen kostet Mut, wenn dir keiner Hoffnung macht. Und es bleibt immer diese Angst, dass ich trotz aller Anstrengung versagen und das Leben meiner Eltern leben werde.'
Undine Zimmer

Autor*in / Hrsg.: Undine Zimmer
Frauenleben in: Europa
politische Themen: Prekarisierung
Weitere Informationen: Umfang: 256 S.
Einband: Kartoniert
Format (T/L/B): 1.5 x 19 x 12.5 cm
Gewicht: 195 g
Erscheinungsdatum: 11.12.2014
Umfang: 256 S.

~ LESEPROBE ~

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Rezension von Julia Lorenz auf AVIVA-Berlin:

Sie findet, ihr Name sagt alles: In der Mythologie sind Undinen Fabelwesen, die sich zwischen zwei Welten bewegen, ohne in einer von ihnen je ankommen zu können. Auch nicht in Berlin-Spandau, wo die Autorin auf wenigen Quadratmetern die Herausforderungen einer Kindheit zwischen Jobcenter und IKEA-Behelfsbibliothek erlebte.

Armut in Deutschland ist hässlich. In schlecht sitzenden Discounter-Jeans schiebt sie sich maximal vom Sofa, um mit leiernder Stimme - selbstredend mit starkem Ost- oder Ruhrpott-Akzent - nach Jason oder Jaqueline zu plärren. Strähniges Haar, das den Geruch nach Rauch und fettigem Essen nie loswird, Fernsehdauerbeschallung, vergilbte Tapete, Fertigpizza, Köter - so sieht´s aus, wenn die "nivellierte Mittelstandsgesellschaft" nach unten schaut. Oder vielmehr: Nach unten tritt.

Denn Armut in Deutschland ist auch unterhaltsam. Zumindest für Medienschaffende und -konsumentInnen, über deren Bildschirme jeden Nachmittag die kleine Dystopie vom hoffnungslos verblödeten Prekariat flimmert. Ein Vorurteil, das gern und mit Genugtuung reproduziert wird - und nicht ohne Konsequenzen für das Selbstwertgefühl von Menschen bleiben kann, die als "nicht integrierbar in den Arbeitsmarkt" gelten. Undine Zimmer weiß das: Ihre Eltern gehören zu "denen". Als Kind von Langzeitarbeitslosen kennt sie das Gefühl, mit glaubhaften Beteuerungen alle am Restauranttisch davon überzeugen zu müssen, dass eine einfache Tasse Tee ganz genau das ist, was sie sich in diesem Moment wünscht. Sie weiß, dass ein Zwieback mit Senf einem Burger geschmacklich am ehesten ähnelt, dass Dankbarkeit und Scham dicht beieinanderliegen, wenn mensch sich für gut gemeinte Geschenke nicht revanchieren kann, und dass Trinkpäckchen und Minisalamis die ersten Statussymbole sind, an denen sich Einkommensunterschiede in der Pausenbrotbox offenbaren.

Aus den Schubladen in die Ballettschule

Nun hat sie ein Buch über ihr Familienleben am Rand der Wohlstandsgesellschaft geschrieben. Und das bietet verblüffende Nachrichten für alle, für die "hartzen" als Synonym für perspektivloses Vegetieren bereits zum festen Wortschatz gehört: Auch in einkommensschwachen Haushalten gibt es Reclamhefte und Kulturradio, Vollkornbrot und Fürsorge. Obwohl ihrer alleinerziehenden Mutter als Sozialhilfeempfängerin nie genug Geld für Sonntagsausflüge oder Festtagsessen blieb, hat Undine Zimmer ihren Schulabschluss in Schweden gemacht, Klarinettenunterricht und Ballettstunden erhalten. Fast ist es unangenehm, zu betonen, dass sie "auch noch" studiert hat: Skandinavistik, Neue Deutsche Literatur und Publizistik. Journalistische Erfahrungen sammelte sie beim Uni-Radio und der Fachzeitschrift norroena, bei AVIVA-Berlin und beim ZEIT-Magazin, wo es ihre Reportage "Meine Hartz-IV-Familie" erst auf die Titelseite und schließlich auf die Nominiertenliste für den Henri-Nannen-Preis schaffte. Eine mustergültige Karriere, bestens geeignet als Steilvorlage für ein rührseliges Enthüllungswerk darüber, wie sie all das von "ganz unten" erreichen konnte.

Aber Undine Zimmer möchte weder Mitleid noch bewunderndes Schulterklopfen. Hungrig zu Bett gegangen sei sie schließlich nie, und auch bei dem Wort "Kinderarmut" müsse sie eher an "Oliver Twist" als an ihr eigenes Leben denken. Dafür möchte sie erzählen, dass Armut "mehr als ein finanzieller Mangel" ist: Nämlich "die Kombination vieler Mängel über eine lange Zeit, die sich vielleicht einmal aus finanziellen Mängeln entwickelt haben". Unsicherheit, Fatalismus und Selbstzweifel bleiben, auch wenn der Kontostand schwarze Zahlen zeigt. Undine, Wandererin zwischen zwei Welten, fühlt sich im BildungsbürgerInnentum als ewige Außenseiterin - und ist dennoch kein Teil der Parallelgesellschaft, die dank quotenträchtigem Prekariats-Bashing im TV jedeR zu kennen glaubt.

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