Rezension zu: Dagmar Margotsdotter-Fricke: Dich liebt die Welt. Geschichten aus dem Mutterland

05.04.2014 17:53

Anknüpfend an die uralte Tradition des Geschichtenerzählens präsentiert Dagmar Margotsdotter-Fricke fünf Geschichten aus einer matriarchalen Kultur. Die Geschichten sind reine Fiktion der Autorin, sollen aber eine Vorstellung davon geben, wie Geschichten in rein matriarchalen Gesellschaften erzählt worden sind bzw. erzählt werden würden.

Nun sind weder die Autorin ebenso wie vermutlich der Kreis der Leser*innen, für die dieses dünne Büchlein bestimmt ist, in einer rein matriarchal geprägten Kultur aufgewachsen. Es ist somit schwer nachzuprüfen, ob matriarchale Menschen sich tatsächlich Geschichten in dieser Form erzählen würden.

Unverkennbar ist die Absicht der Autorin, einen Gegensatz zu konstruieren zwischen menschen- und naturfeindlicher patriarchaler Lebensweise und den in diesen Gesellschaften strauchelnden und leidenden Menschen, die durch die Rückkehr zur Mutter/Großmutter/Ahnin wieder Trost finden.

Und hier begann bei mir die Verunsicherung. Die ersten drei Geschichten enthielten so viel Traurigkeit und Verlust, dass ich daraus keine Kraft schöpfen konnte, sondern eher verstört zurück blieb. Die in ‚Die alte Weide’ und ‚Töchter wie süßer Reis’ geschilderte Vereinzelung sowie Ignoranz und Abscheu den eigenen Töchtern gegenüber deckt sich nicht mit meinen eigenen familiären und sozialen Erfahrungen. Die matriarchal aufgewachsenen oder inspirierten Menschen in den drei Geschichten trugen so viel Traurigkeit und Einsamkeit in sich, mein eigenes Leben, obwohl von struktureller männlicher Vorherrschaft und Besserstellung geprägt, dagegen so viel Freude und Zusammenhalt, dass der gewollte Vergleich zwischen schlechten Patriarchat hier und gutem Matriarchat dort nicht so recht verfing.

Befremdlich fand ich es auch, einen Computer als ‚Zahlenhexe’ zu bezeichnen, denn damit werden matriarchal denkende Menschen als antiquiert und vormodern dargestellt. Warum aber soll eine matriarchale Gesellschaft nicht mit der aktuellen technischen Entwicklung zusammen gedacht werden können? Dennoch enthält die Geschichte ‚Töchter wie süßer Reis’ auch inspirierende Ansätze, so die Idee für verloren gegangene Körperteile, etwa nach einer Brust-OP oder wenn ein Zahn raus fällt, ein Ritual zu veranstalten.  

Versöhnlich stimmten zudem die letzten beiden Geschichten. In ‚Steingesang’ vereint sich eine junge Frau mit einem Stein und lässt diesen durch sich sprechen und singen. In ‚Einmal war ich eine Kuh’ erinnert sich eine Frau an ihr früheres Leben als freie und nicht domestizierte Kuh. Sie lässt die Leser*in eintauchen in die tierische Verbindung mit allen Pflanzen, Tieren und Elementen. Solch sorgloses und sinnliches Dahinleben ist wahrhaft paradiesisch und muss aus einer längst vergangenen Zeit stammen, als Mensch, Tier und Pflanzen noch harmonisch und in gegenseitiger Achtung zusammen lebten.

Nach dem sehr empfehlenswerten Buch „Die gute Mär“ von Dagmar Margotsdotter-Fricke war ich eher etwas enttäuscht von dem neuen Werk. Die Idee, Geschichten aus matriarchalen Kulturen zu erzählen, die nicht patriarchal überfärbt worden sind, ist an sich eine sehr schöne Sache. Stark ist das Buch dann auch dort, wo es sich genau darauf konzentriert, ohne die heute bestehenden gesellschaftlichen Strukturen einzubeziehen und zu bewerten.

Doreen Heide, FEMBooks

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